Hausbesuch bei Carine - Hallo Baby!

20März2018

Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich sie in einem (sehr viel) älteren schon einmal erwähnt habe und um mir nicht noch mal alles komplett durchzulesen und auch euch das zu ersparen, hier noch einmal die Kurzzusammenfassung: Carine war eine der Pensionärinnen, die schon viele Jahre lang immer wieder kommen und so natürlich dann auch dieses Jahr, in dem ich als Freiwillige in diese große Familie hineinfand. Sie lebte mit ihren geistigen und körperlichen Einschränkungen sehr gut und steckte mit ihrer meist lebensfrohen Art viele an. Leider blieb sie nicht allzu lange unter uns, denn sie war schwanger und eine Geburt im Centre ist einfach nicht möglich. Aufgrund zusätzlicher anderer Gründe, wie zum Beispiel dem Verbot von Geschlechtsverkehr im Centre musste sie wohl oder übel heimkehren. „Heimkehren“. Sie wohnt in den Ferien meist bei ihrer Tante in Nkongsamba und somit ist das mehr oder weniger ihr zweites „Zuhause“ nach dem Centre. Und dort ging sie dann auch im letzten Jahr dann wieder hin (vielleicht war es Oktober oder November, ich habe hier irgendwie kein Zeitgefühl). Inzwischen ist das Kind geboren (zwar per Kaiserschnitt, aber es ist trotzdem alles gut verlaufen) und bei ihm wurde bis jetzt auch noch keine Behinderung festgestellt.

Das war dann auch der Grund, warum dieser Besuch in der Familie geplant wurde. Zuerst sollten nur Flo (der Franzose) und TaVi (Vertrauensperson und Repräsentantin der Mitbewohner) dorthin, aber ich wollte natürlich auch mitkommen und das Kind und vor allem auch Carine wiedersehen und nach kurzer Überzeugungsarbeit (bei der ich freundlicherweise gut unterstützt wurde), durfte ich dann auch mitkommen. Zudem kam auch Cami (er schob den Rollstuhl von TaVi) mit. Mittwochs gings dann los. Gute zweieinhalb Stunden liegt Nkongsamba von Baham entfernt (natürlich nur aufgrund der Straßenverhältnisse ;) - wird hier immer gerne betont). Wir warteten am Carrefour von Baham, bis ein Bus in der richtigen Richtung vorbeikam und vier freie Plätze hatte. Der kam überraschend schnell und so fanden wir uns anfangs in einem ziemlich leeren Kleinbus, der auf der Fahrt immer voller wurde. Man stellt sich grundsätzlich an die Straße und schreit dem Chauffeur sein Ziel (und ab und zu den Preis) zu und mit Glück hält der dann an. So wechselten meine Sitznachbarn relativ oft, mal ein alter Mann, der meine Nummer wollte (leider aufgrund des Klischees, ich als Weiße hätte bestimmt sehr viel Geld) und dann eine Mutter mit zwei Kindern im Grundschulalter, die natürlich nur ihren eigenen Platz bezahlt hatte und meinte, sie kann beide Kinder auf den Schoß nehmen. Im Endeffekt hatte ich es dann auf dem Schoß und eine relativ gute Unterhaltung.

Angekommen liefen wir erst einmal zu Carines Tante, mit dem Ziel, das Kind und die Mutter vereint zu sehen. Die Wahrheit sah leider etwas anders aus. Das Kind im Arm der Tante und viele junge Geschwister empfingen uns. Von Carine keine Spur. Sie saß draußen hinter dem Haus im Regen, weil sie sich immer noch nicht gewaschen hatte. Während wir drinnen auf Plastikstühlen an der Wand saßen und warteten, mussten wir leider miterleben, dass der Umgang mit Carine nicht gerade freundlich ist. Sie wurde beschimpft und geschlagen, bevor die Tante sich ihrer endlich annahm und ihr beim Waschen half. Sie aß auch nicht mit uns, sondern blieb in einem anderen Raum und wir gingen dann auf sie zu. Carine ist kein einfacher Mensch, sie hat ihren eigenen Dickschädel und ein paar Eigenheiten (wie das bei geistig Behinderten nun mal ab und zu der Fall ist), aber wir waren trotzdem geschockt von ihrem Anblick. Sie vermittelte auf keinen Fall das Bild einer frisch gewordenen Mutter, ihre Schultern und Arme waren mager und sie hatte mehrere Verletzungen im Gesicht und an ihrer rechten Brust, über dessen Herkunft keiner etwas weiß. Es wurden aber auch keine Maßnahmen vorgenommen, was bei ihrer Infektion durchaus nötig gewesen wär.

Verschüchtert redete sie nur wenig, in den folgenden Tagen begründete sie uns das mit der Angst, von ihrer Tante geschimpft und geschlagen zu werden. Sie bat uns am letzten Tag sogar extra hinaus, um mehr mit uns zu reden. Dass sie das ganze Rechnen und Schreiben verlernt hat und sich nicht einmal mehr an das Lied, das wir zusammen gelernt hatten, als sie noch da war, erinnert. Der vermutlich schönste Moment war, als Carine, Flo und ich zu dritt dann doch bis zum Ende des Liedes sangen. Die wichtigste Nachricht, die sie uns aber vermittelt hat, war, dass sie auf jeden Fall wieder ins Centre möchte, da es ihr bei ihrer Tante nicht gut geht. Aufgrund der Geburt wurde ihre Bewegungsfähigkeit jetzt noch mehr eingeschränkt und da sie nicht genug isst, hat sie auch in den Armen nicht mehr genug Kraft, um sich halbwegs schnell zu bewegen. Vorher konnte sie auf allen Vieren „krabbeln“, die Beine hinter sich herziehen, nur jetzt musste sie aufrecht sitzen und sich so immer weiterschieben, was extrem langsam und auch unangenehm ist. Über die Tage, die wir bei ihr verbrachten, bekamen wir ihre miserable Situation deutlich zu spüren und es steht auch schon fest, dass wir sie zurück nehmen. Um das Baby müssen wir uns keine Sorgen machen, darum kümmert sich die Tante liebevoll. Carine hat ihr Mädchen "Grâce Merveille" seit der Geburt nicht einmal gehalten. Es muss nur eine Lösung für die nahenden Sommerferien (zweieinhalb Monate) gefunden werden, denn wenn sie dann wieder zu ihrer Tante zurück muss, wird sich ihre Situation dort sicher nicht verbessern.