Berichte von 11/2017

Kamerun als Entwicklungsland

23Nov2017

Was heißt das eigentlich? Wie muss man sich das vorstellen? Immerhin haben wir ja meistens (oder zumindest ich, naiv, wie ich sein kann) Bilder im Kopf von traurig schauenden Kindern mit Hungerbäuchen, fragile Hütten mit Wellblechdach. Überfüllte staubige Straßen mit bunt gekleideten (meist farbigen) Personen, die Wasserkanister oder andere Dinge auf dem Kopf tragen und sich den Weg mit halb zerfallenen Autos und Motos teilen. Doch wie viel sagen diese Bilder über die Realität aus? Haben wir uns jemals lachende Kinder in Entwicklungsländern vorgestellt, die freudig hinter einem Ball herrennen, zur Musik tanzen oder glücklich singend Wäsche waschen? Wer sagt, dass es einem in einem Entwicklungsland schlecht geht?

Als Entwicklungsland wird Kamerun bezeichnet, weil es offiziell heißt, dass die Mehrheit der Einwohner in sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen nur einen geringen Lebensstandard hat (kurzer Hinweis: verglichen mit dem europäischen bzw. "westlichen" Ideal).
Was ist der Maßstab für Lebensstandard? Klar, die Wasser- und Stromprobleme bestehen, ich möchte nichts verleugnen, aber trotzdem findet man einen Weg, damit umzugehen und sich vorzubereiten. Es sind nicht die Probleme eines Jeden. Und dabei will ich nicht auf die politische Elite hinaus, die sich - zum Teil - ihre Vorteile erkauft und für sich behält, also einfach korrupt handelt. Auch Einzelpersonen schaffen es, durchaus unabhängig von Wasser- und Stromwerken zu leben und nicht auf diese angewiesen zu sein.

Ich habe letztens zusammen mit einem Schüler aus dem Centre den Schneidermeister zuhause besucht, der unter der Woche dreimal kommt, um seine Kenntnisse auch nach seinem offiziellen Ruhestand hier weiterzugeben. Stolz hat er uns hereingebeten. Es war ein angenehm kleines Haus in ruhigem Umfeld mit einem großen Salon und kleinen Zimmern außenherum. Auf dem Dach war ein Solarpanel angebracht (vielleicht 1m x 1m), das ausreichend Energie bringt, sodass ein Stromausfall
ihn nicht mehr betrifft. Außerdem demonstrierte er mir stolz seinen Brunnen und seine selbst installierte Biogasanlage. Somit auch nicht mehr interessiert an Wasserproblemen oder Brennholzknappheit.

Klar sind diese individuellen Maßnahmen nicht für jeden möglich, Brunnen nur sinnvoll, wenn sie eine bestimmte Tiefe nicht überschreiten. Trotzdem hat mich dieser simple Lebensstil sehr beeindruckt und den Gedanken, dass PaMo (der Schneider) damit sehr zufrieden ist, strahlt er auch aus. Und ich frage mich, ob das überhaupt noch als entwicklungsbedürftig eingestuft werden kann. Der Strom reicht aus, wenn es abgesehen von den Glühbirnen „nur“ einen Fernseher, ein Radio und vielleicht zwei, drei Handys zum Laden gibt.

Ich will damit nicht kritisieren, wie wir in Europa leben und worum unsere Gedanken kreisen. Ich möchte nur zeigen, dass es mir inzwischen teilweise absurd vorkommt zu sagen, dass ich im Moment in einem Entwicklungsland lebe. Beziehungsweise, dass das nicht notwendigerweise heißt, dass es uns schlecht geht. Wir sind glücklich, essen zwei Mal am Tag warm, die Schüler lernen lesen, schreiben und machen ihr Abitur, andere ihre Ausbildung und jeder findet etwas zu tun. Ob man jetzt ein, zwei Stunden Wäsche wäscht oder den Rasen mit der Machete schneidet, über dem Feuer kocht oder die Erdnüsse händisch mahlt. Vielleicht macht die Zeit, die man für eine Handlung aufwendet, einem auch eher bewusst, welchen Wert diese Arbeit hat. Und man langweilt sich weniger schnell, da einem keine Maschinen helfen und auch die 1000ste Bohne per Hand sortiert wird.

Was sich für uns nach unnötigem Aufwand anhört, ist hier normal und Freizeitbeschäftigung. Anstatt sich vor dem Fernseher mit Wii und PS4 zu vergnügen, nutzt man das Sonnenlicht und vergnügt sich draußen gemeinsam beim Erdnüsse schälen. Es werden Geschichten erzählt, Musik gehört und was einem sonst einfällt. Ansonsten geht man zum Markt, schaut noch bei dem Bekannten und dem anderen Freund vorbei und kehrt nach drei Stunden Fußmarsch wieder heim in glückliche Kinderarme. Mir geht es gut. Uns geht es gut. Kein Tag hier vergeht, ohne dass nicht jeder mindestens einmal gelacht hat. Vielleicht fehlt es uns manchmal an Wasser oder Licht, aber nie fehlt es an der richtigen Einstellung („Kommt schon wieder!“) und nur selten an der Motivation.

(Disclaimer: Ich bin mir der politischen und ökonomischen Unterschiede bewusst und möchte diese weder kaschieren noch verherrlichen, sondern stelle hier nur das Leben der "einfachen Leute" da, mit denen ich glücklicherweise gerade zusammenleben darf.)

Wenn die Feierlichkeiten doch nicht aufhören

18Nov2017

Im Moment ist noch Beerdigungszeit in und um Baham. Das heißt, jeden Samstag ist „Journée du Deuil“, das Taxi teurer und dessen Struktur ziemlich überlastet, überall sieht man Gruppen, die alle denselben Stoff tragen und sogar Reisebusse sind im Einsatz, um die Leute herumzufahren.

Neben den fast schon zur Gewohnheit werdenden Beerdigungen war aber auch ein Fest, dass nur alle zwei Jahre stattfindet und für die Chefferie Bandjoun eine große Bedeutung hat. Bandjoun ist von Baham der nächste Ort und die Chefferie um einiges größer als die in Baham. Diese haben wir einen Nachmittag lang besucht und sind im Museum dem kulturellen Hintergrund ein bisschen näher gekommen, auch wenn manche Dinge mir durchaus unverständlich geblieben sind. Dadurch konnte ich aber die Symbole und Kleidung des „danse traditionnelle“ besser deuten.

Die Besonderheit an diesem Tanz ist, dass der König von Bandjoun (oder auch Chef du Village, weil
wir mit KönigInnen dank Disney etc. anderes verbinden) den Umzug anführt und eine große Krone
trägt. Diese wiegt gute 20 Kilo und deshalb helfen Träger links und rechts mit. Das Ganze fand am Eingang der Chefferie statt, die Zuschauer wurden so platziert, dass eine Art riesige Arena entstand, wo der König und sein Gefolge eine Runde drehten. Die Menschenmengen waren enorm und das war vermutlich der Tag, an dem wir die meisten anderen Menschen mit unserer Hautfarbe gesehen haben. So komisch es klingen mag, aber irgendwie war das besonders, weil ich mich bis jetzt nur absichtlich mit anderen Deutschen getroffen habe und deren Hintergrund immer kannte. Wir warteten wieder eine ganze Weile, bis Rauchzeichen den Beginn der Veranstaltung bekannt gaben und plötzlich alle vor uns von ihren Stühlen aufsprangen und laut und begeistert Beifall klatschten.

Der König war da. Von dem ich aufgrund der vorher beschriebenen Situation leider nicht viel mitbekommen hab. Das war auch DG aufgefallen und während der Zeremonie sollten wir deshalb die Plätze wechseln und mitten durch die Tänzer laufen. Während ich mich erst respektlos gefühlt habe, hat sich zwar niemand anders daran gestört und durch meine Hautfarbe war ich vermutlich auch
dazu privilegiert, während die anderen zurückgedrängt wurden, aber wohl war mir dann erst mal nicht mehr. Trotzdem hatte ich dadurch die Chance, ein paar gute Fotos zu machen. Dem König folgten alle Königinnen und andere Bewohner der Chefferie mit Bedeutung. Sie trugen den traditionellen Stoff der Bamiléké, blau und weiß und jedes Muster mit einer Bedeutung. Außerdem hielten sie Pferdeschweife in den Händen. Diese wurden dem Publikum zu geworfen und der, der ihn fängt, darf dann für einen kurzen Moment mit den Königinnen tanzen. Die Menge war auch so zu den Trommelklängen in Bewegung.

Die Runde des Umzugs dauerte gute eineinhalb Stunden, war aber überraschend kurzweilig und hat mir sehr gefallen. Auch, wenn mir der Kulturgedanke dahinter viel zu groß und kompliziert scheint, um ihn irgendwann verstehen zu können, ist mir eins klar: Die Leute hier sind unglaublich stolz darauf. Und so freute sich auch DG und tanzte mit den anderen mit.

 

Hallo Alltag

05Nov2017

Ich bin im Alltag angekommen. Keine aufregende Wochenendaktion oder sonstige Dinge, die unter der Woche für Aufregung sorgen. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, ich manchmal Langeweile habe oder mich doch wieder alles stresst, ergibt sich meistens für den Moment selbst. Trotzdem bin ich nicht wirklich zum Schreiben gekommen, irgendetwas findet man dann doch immer zu tun.

Außerdem war ein französischer Fotograf zu Besuch, um in wenigen Tagen möglichst viele Aufnahmen zu machen, die er in Kooperation mit einem ehemaligen Freiwilligen für eine Ausstellung und Werbung, die möglicherweise in ganz Frankreich ausgestrahlt wird, benötigt hat. Mit dabei war ein Freund, der uns am Anfang vor allem aufgrund seiner Sprachkenntnisse begleitet hat und mir das Einleben ein bisschen leichter gemacht. Ich hatte dadurch auch die Möglichkeit, noch einmal nach Bafoussam zu fahren und eine Stunde umsonst vor einem der wenigen funktionierenden Bankautomaten anzustehen. Der nächste, den wir angefahren sind, ging dann einwandfrei und ohne Wartezeit. (Man bemerke hier wieder meine unglaublich große Geduld - definitiv eine riesige Übungsaufgabe für mich;))
Ich habe eine Spende an das Centre, die über mein Konto lief, abgehoben und weitergegeben. Und das Geld wurde so dringend gebraucht, dass sogar geplant war, dass ich während meinem morgendlichen Unterricht mitkommen sollte (Dank kamerunischer Pünktlichkeit wurde das Ganze dann doch ein paar Stunden nach hinten verschoben). Ein Teil von diesem Geld wurde jedenfalls für die Pension für die Schule benutzt. Das Schulgeld ist hier nicht gerade gering und die finanziellen Mittel des Centres und der Eltern der hier lebenden Schüler auf keinen Fall ausreichend. Und der betroffene Schüler wurde deshalb von der Schule einfach heimgeschickt (so viel zu Bildung und die Jugend sind unsere Zukunft).

Das Centre finanziert sich allgemein nur von Spenden. Das hört man zwar immer, klar geworden ist mir das aber erst, als es an einem Wochenende hieß, die Großen essen abends nicht, weil das Essen nur noch für die Kleinen reicht. Und dass das durchgebrannte Licht in den Duschen seit zwei Wochen nicht repariert wird, obwohl ich morgens um halb sechs darauf angewiesen wäre. Immerhin gab es ein Erlebnis, an das ich schon fast nicht mehr geglaubt hätte. Wasser aus der Leitung. Und das gleich an zwei Tagen hintereinander, einmal für 10 Minuten, das andere Mal lange genug, um alle vier 1000-Liter-Kanister aufzufüllen. (Update: einer ist noch halb voll mit Leitungswasser, in den anderen wird schon wieder Regenwasser aufgefangen). Das Wasser ist und bleibt hier ein Problem.

Und der Strom wohl auch. Letztens war es wieder so weit, dass ab morgens keine Leitung mehr funktionierte. Als wir vom Marché zurückkamen und gerne was Warmes getrunken hätten (wir Freiwilligen genießen eigentlich einen Wasserkocher-Luxus). Tagsüber hat mich und die Kinder das nicht gestört, erst abends wurde es kritisch, als die Hausaufgaben im großen Saal nicht erledigt werden konnten, mein Handyakku zur Neige ging und ich meine Taschenlampe bis heute nicht gefunden habe. Anstatt gelernt wurde gelärmt. Die Kinder sangen, trommelten und beteten sogar, dass Gott sie erhören sollte. Unabhängig von der religiösen Wichtigkeit oder Ansicht zeigt das doch die Notwendigkeit von Licht. Während mein größtes Problem war, dass sich mein Handy über Nacht ausschalten könnte, ich somit keinen Wecker hätte und verschlafe, die Kinder morgens zu waschen.

Zum Glück hatte der Regen noch vor fünf die Absicht, auf sich aufmerksam zu machen. Aber kein
warmer Tee in der morgendlichen Frische, kaltes Wasser zum Abwaschen von öligen Tellern und so weiter machten mir das Bedürfnis nach Strom deutlich. Bis die Kinder am nächsten Vormittag irgendwann „Merci Seigneur“ (Gott sei Dank) sangen, der Strom geht jetzt wieder. Und somit das Licht - bis auf im Bad der Kinder - auch.

Inzwischen ist schon wieder Wochenende. Ein Freund aus dem Centre hatte am Samstag Geburtstag und ich konnte mich irgendwie mit dem hier gegenwärtigen Gedanken nicht anfreunden, das zu übergehen. Manche kennen hier nicht einmal ihr genaues Alter, geschweige denn das Geburtsdatum etc. Was in ihrem Ausweis steht, muss dann auch nicht immer notwendigerweise das Richtige sein. Deshalb wird Geburtstagen auch wenig Bedeutung zugebracht. Wir haben also trotzdem freitagabends nach dem Essen noch den Kuchen übers Feuer gestellt. Kuchen backen ohne Waage, Rührgerät und Ofen gestaltet sich dann doch ein bisschen experimenteller. Hat aber super funktioniert und die Kinder haben sich riesig gefreut. Anstatt dem Ofen haben wir einfach einen der großen Töpfe übers Feuer gestellt und auf einer Erhöhung die Form platziert.

Heute ist Sonntag und wir begleiten in einer Stunde die Kinder in die Kirche nebenan.