Gedanken zum ersten Monat – Rückblick

02Okt2017

Wer hätte gedacht, wie einfach sich manche Wünsche verwirklichen lassen. Noch vor einem Jahr saß ich aufgeregt mit lauter vorerst fremden Jugendlichen in meinem Alter zum Orientierungsseminar im Stuhlkreis in einer Waldorf-Grundschule. Vor gut eineinhalb Monaten dieselbe Situation zum Vorbereitungsseminar in einer Jugendherberge. Und wir hatten alle dasselbe Ziel: Raus in die Welt und einen Freiwilligendienst machen. Obwohl ich in der Vorbereitungsphase so manches Mal gejammert habe, es sei so anstrengend und so viel Papierkram, sitze ich jetzt hier in Kamerun mit meinen 18 Jahren und lerne jeden Tag so viel Neues durch den Kulturunterschied und den Unterricht mit den Kindern.

Wie kommt es, dass jemand wie ich, der gerade einmal das Abitur in der Tasche hat, plötzlich sieben körperlich und geistig eingeschränkte Kinder unterrichten soll. Meine berufliche Qualifikation, sowie meine emotionale Belastungsgrenze und Tragfähigkeit lägen wahrscheinlich weit im Negativen, würde ein Spezialist dies beurteilen. Ob nicht ein anderes Projekt besser, einfacher oder passender gewesen wäre? Vielleicht war es aber auch gerade der Reiz, etwas vollkommen Neues zu vollbringen, mit dem ich vorher kaum in Kontakt war. Und ich bemerke erst jetzt, wie leichtfertig ich mich für einen Freiwilligendienst und dieses Projekt entschieden habe. Welch ein Wunder, dass ich mich hier zurechtfinde und anpassen kann.

Als ich in Douala ankam und es hieß, fühl dich wie Zuhause, entgegnete ich schüchtern wie ich nun mal bin (aber immerhin ehrlich), dass ich mir erst einmal alles von außen ansehen muss, bevor ich interagiere und auch richtig handeln kann und dass ich meine Zeit brauche, um offen auf andere zuzugehen. Gute zwei Wochen später sagte mir Hermann (der Kameruner, der deutsch spricht und uns vom Flughafen ab anfangs immer und überall begleitet hatte), ich hätte ihn angelogen. Ich wäre nicht verschlossen, sondern gesellig und suche den Kontakt, um mich anzupassen und zu integrieren.
Und wenn ich jetzt darüber nachdenke, muss ich ihm Recht geben. Vermutlich bin ich zurückhaltend, verspüre aber dennoch den Drang, mich – so oft es geht – zu den Anderen hinzu zu setzen, mich mit ihnen zu unterhalten oder ihnen erst einmal zuzuhören. Auch wenn ich die Beobachterrolle innehabe oder innehatte, nehme ich automatisch immer mehr an Gesprächen, Gelächter und Diskussionen teil.

Vielleicht fällt mir das hier auch leichter, weil niemand mich so kennt, wie ich all die Jahre davor war und mich entwickelt habe. Vermutlich ist es leichter, aus alten Mustern und Verhaltensweisen auszubrechen, wenn man in einem komplett neuen Umfeld ist. Vielleicht schränkt es mich zuhause ein, dass andere ein gewisses Bild von mir und somit auch bestimmte Erwartungen an mich haben und ich so viel auf die Meinung anderer gebe.
Denn ja, es gibt einen Unterschied zwischen den Charakterzügen, die mich in Deutschland momentan ausmachen und den Eigenschaften, die ich gerne hätte. Ich bin hier in Kamerun kein komplett anderer Mensch, aber vielleicht doch irgendwie anders, als man mich aus Deutschland in Erinnerung hat, sei es auch nur in einigen Punkten. Und ich frage mich, ob sich diese Veränderung über den Verlauf des Jahres so festigt oder womöglich noch erweitert, dass ich in Deutschland nach dem Freiwilligendienst nicht mehr „die Alte“ bin. Und welche Konsequenzen das auf mein Umfeld: Familie, Freunde und Bekannte hat.

Veränderung an sich ist nicht schlecht, das will ich damit auch nicht aussagen, immerhin meinte ich ja eben noch, vielleicht erfülle ich hier mehr meine eigenen Erwartungen an mich, anstatt in der Rolle zu bleiben, die andere von mir kennen und erwarten. Allerdings spielt das Maß der Veränderung doch eine Rolle und wenn dieses zu groß ist, wird vermutlich auch die Rückkehr in mein vorheriges Umfeld umso schwerer. Ich war davor kein schlechter Mensch und bin auch nach dem Jahr hoffentlich keiner geworden (wovon ich jetzt ehrlich gesagt einfach mal so ausgehe;)). Trotzdem will ich mich weiterentwickeln und sehe auch gerade in diesem Jahr die Chance, über mich hinaus zu wachsen und mich in bestimmter Art und Weise selbst besser kennenzulernen.

Dies soll keine Vorwarnung sein oder ein Aufruf an was auch immer, ich möchte vielmehr klarstellen, dass neben den Aspekten, eine Fremdsprache zu lernen und in einem weniger entwickelten Land eine gemeinnützige Organisation zu unterstützen, noch viel mehr hinter meinem Freiwilligendienst steckt. Entgegen vieler Meinungen, man würde nicht wirklich gebraucht, ist mein Projekt der AHP2V durchaus auf meine Unterstützung angewiesen und Freiwillige sind dort aus dem Alltag gar nicht mehr wegzudenken. Ich bin also hier, um zu arbeiten – aber ich kann vermutlich noch viel mehr für mich selbst herausholen und profitiere mindestens ebenso viel von meiner Arbeit hier wie die AHP2V.